Letzte Woche wurde ich ganz übel auf dem falschen Fuß erwischt.
Ich wurde unter Zeugen gefragt (oder eher schon bedrängt) ob ich nicht am Sonntag am gemeinsamen Mittagessen teilnehmen möchte. "Wie? Gemeinsames Mittagessen?" dachte ich mir. "Von mir aus kann kommen wer will, solange sich jeder selber Bier mitbringt." Ich bin ja schließlich nicht die Wohlfahrt.
Es stellte sich allerdings heraus, das damit eine Fahrt zur "Schwiegeroma" und ein Drei-Gänge-Menü gemeint war. Da ich dämlicherweise vorher erwähnte ich habe Sonntag nichts vor musste ich zusagen. Scheiße!
Es kam wie es kommen musste. Ich wurde brutal von meiner Lebensgefährtin geweckt. "Wer saufen kann, kann auch aufstehen!" höre ich. In meinem Kopf tausend Bauarbeiter und Sternchen vor meinem linken, halb geöffneten Auge. Tatsächlich schon Mittag? Ich beginne eine kurze, sinnlose Diskussion, das sie mich doch bitte schlafen lassen und bei Oma entschuldigen möchte. Aber Oma hat ja jetzt extra für mich mitgekocht und freut sich schon seit Tagen.
Auf dem Beifahrersitz schlafe ich noch kurz ein und schon sitze ich bei Oma im Wohnzimmer. Ich befürchte, dass das Mittagessen hier nicht wie bei mir fünf Minuten dauern wird. Ich rechne mit einer Stunde, also von dreizehn bis vierzehn Uhr. Um vierzehn Uhr dreißig wird der Nachtisch gereicht. Mittlerweile stört es mich gar nicht mehr, das sich die versammelte Sippschaft gnadenlos anschweigt. Ich resigniere und prügel mir diese komische, wabbelige Matsche in den Hals. Ein Königreich für eine Pizza. Und eine Motörhead-Platte.
Als ich kurz nach fünfzehn Uhr vernehme das es gleich noch Kaffee und Kuchen geben soll schießen mir die Tränen in die Augen. Was habe ich in meinem letzten Leben bloß falsch gemacht? Ihr könnt doch nicht ernsthaft glauben, das ein junger Mann in der Blüte seines Lebens nichts anderes im Sinn hat als sich Sonntag Nachmittag der erwartungsvollen Freude einer Schwarzwälder Kirschtorte hinzugeben. Könnt ihr doch nicht!
...aber sie können.
Der letzte Bissen von der zweiten Sorte Kuchen guckt mir noch aus dem Hals als Oma mit einer weiteren Sorte antrabt. Jetzt habe ich aber die Schnauze voll! Ich bin satt, und das schon seit sage und schreibe drei Stunden!
Ob es nicht schmeckt, werde ich gefragt. "Nein, es schmeckt zum kotzen!" denke ich. "Oh, doch, wunderbar, sehr lecker", antworte ich. "Ich bin nur satt."
In der Hoffnung, es bald geschafft zu haben, ignoriere ich die fünf Schläge dieser abgrundtief hässlichen Standuhr, die mich die ganze Zeit auszulachen scheint. Vor Langeweile und Ärger darüber, den Tag die Toilette runtergespült zu haben habe ich das Gefühl platzen zu müssen. Das können allerdings auch die sechs Tassen Kaffee und die Tüte Kekse sein , die mir Oma permanent reinschaufelt.
Zwischendurch habe ich mir mal erklären lassen wer in den 70er Jahren warum wie cool war, und wer welchen dollen Otto in der Schule gebracht hat. Das lachen ist aufgesetzt und kommt wahrscheinlich nur vom Koffeinschock. Außerdem weiß ich jetzt was ich beruflich denn nun richtig mache und was ich noch richtiger machen könnte und wer es denn nun am allerrichtigsten macht.
Als das helle Licht am Ende des Tunnels beinahe ganz klar zu sehen ist bittet Oma zur Terrassenaudienz. Draußen sitzen ist ja soo gemütlich. Ja klar, und um so vieles interessanter als drei Meter weiter rechts im Wohnzimmer.
Es gibt halt Tage, die gibt es einfach nicht!
So sitzen wir also auf der Terrasse rum und unterhalten uns über den Rasen. Länge. Dünger. Pflege. Rasenmähertyp und Gartenschlauchpreise. Meine Partnerin versteht meine Anspielungen nicht das ich nun endlich nach Hause muss. Sie fragt warum und ich habe natürlich keinen nachvollziehbaren Grund. Sie versteht es einfach nicht.
Als die Uhr halb sieben schlägt überlege ich angestrengt ob ich mich von meiner Partnerin trennen sollte. Ich schlafe mit offenen Augen und werde nur kurz aus meinen Träumen gerissen als das Wort "Abendessen" fällt. Oh Gott! Schweig stille, mein Herz! Als ich gefragt werde ob ich auch was essen will bin ich zum ersten Mal für heute einfach nur ehrlich und gebe zu verstehen das ich wahrscheinlich die ganze nächste Woche keine Nahrung mehr zu mir nehmen muss und das wir uns jetzt verpissen.
Zu Hause angekommen steige ich aus dem Auto und gehe direkt Richtung Stadt. Auf die Frage meiner Partnerin was ich denn vorhabe antworte ich: "Wer früh aufstehen muss, muss abends auch saufen!"
Prost.
The Kollege